Der normale Tagesablauf von Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt? Aufstehen, sich fertig machen und sich mit unzähligen anderen Pendlern auf belebte Autobahnen, in volle Busse und überfüllte Züge begeben. Ganz normal, oder? Ab März 2020 kam auf einmal alles anders.
Aufwachen in einer neuen Welt
Über 3,9 Milliarden Menschen wurden von ihren Regierungen dazu aufgefordert, zuhause zu bleiben, um die Verbreitung und die Ansteckungsraten des Coronavirus zu verlangsamen. Der Ausbruch des Coronavirus und die in der Folge ergriffenen Maßnahmen hatten und haben weiterhin verheerende Auswirkungen auf viele Länder: Der Virus hat Tausende von Menschenleben gekostet und die wirtschaftliche Lage ist kritisch. Doch auf der anderen Seite haben sich proaktive Maßnahmen wie Lockdown und Social Distancing als effektiv erwiesen, denn die Ausbreitung des Virus hat sich stark verlangsamt.
China war das erste Land, das in der Provinz Hubei einen Lockdown einführte. Die Region wurde vom Transport abgeschnitten, sie konnte weder betreten noch verlassen werden, und es wurden im ganzen Land Kontrollpunkte aufgebaut. Manche dieser Maßnahmen wurden in anderen betroffenen asiatischen Staaten nachgebildet. Europäische Staaten mit sehr hohen Infektionszahlen haben strengere Maßnahmen verhängt und beispielsweise die Bewegungsfreiheit ihrer Bürger beschränkt und Reisewarnungen und -verbote verhängt. Die Herangehensweise der USA folgte vor allem zu Beginn hingegen eher einem Laissez-faire-Ansatz: Bürgern wurde geraten, zuhause zu bleiben und große Zusammenkünfte zu vermeiden (englischer Link). Obgleich weniger stark getroffene Länder weniger extreme Maßnahmen getroffen haben, haben dennoch viele Regierungen die Außengrenzen geschlossen, Ausgangssperren beschlossen, nicht-systemrelevante Arbeitsplätze heruntergefahren und Millionen Arbeitnehmer ins Homeoffice befördert.
Blauer Himmel statt Silberstreifen
Covid-19 hat den öffentlichen Gesundheitssystemen, der physischen und psychischen Gesundheit der Menschen und der Wirtschaft ohne Frage viel abverlangt. Aber zumindest ein Bereich gibt Anlass zur Hoffnung: die Umwelt. Als immer mehr Menschen zuhause blieben und weniger Verkehrsmittel nutzten, um Risikogruppen zu schützen, zeigten Berichte, Grafiken und Bilder so ruhige Städte, sauberes Wasser und einen so klaren Himmel wie schon lange nicht mehr. Für viele Stadtbewohner ist dies das erste Mal in vielen Jahren, dass sie in der Früh Vögel zwitschern hören oder nachts Sterne zählen können. All diese Entwicklungen sind nicht nur sichtbar, sondern auch messbar, insbesondere im Bereich Luftverschmutzung.
Luftverschmutzung in Madrid vor (links) und nach (rechts) dem Ausbruch von COVID-19. Quellen: Plume Labs & Sifted
China, ein Land, in dem Smog und graue Winter keine Seltenheit sind, erlebte bereits wenige Wochen, nachdem die ersten Maßnahmen in der Folge der Pandemie beschlossen worden waren, einen Rückgang der Stickstoffdioxid-Konzentration (NO2) um 10-30 % sowie der CO2-Emissionen um 25 %. Nachdem Norditalien zur Sperrzone wurde, ging die Gewerbe- und Industrietätigkeit vor Ort zurück, so dass in der Region ein ähnlicher Rückgang der Stickstoffdioxid-Emissionen zu verzeichnen war. Dieser Trend setzte sich in großen Städten in ganz Europa, darunter die Hauptstädte Madrid und Paris, fort. Dies geht aus Satellitendaten hervor, die über einen Zeitraum von zehn Tagen während der Ausgangssperre in diesen Städten gesammelt wurden. Sogar die USA, die für die häufige Verwendung von Autos bekannt sind, haben eine bis zu 30 % niedrigere Stickstoffdioxid-Konzentration im Vergleich zu Durchschnittswerten gemeldet.
Rückgang der Luftverschmutzung dank geringerem Transport- und Reiseaufkommen sowie gesunkener Produktion
Der plötzliche Rückgang der Luftverschmutzung in so kurzer Zeit ist beachtlich, insbesondere in Städten, die jahrzehntelang keine so saubere Luft erlebt haben. Um die Kausalzusammenhänge dieses Rückgangs zu verstehen und herauszufinden, ob er von Dauer sein wird, ist es wichtig, die Faktoren zu kennen, die am meisten zur Luftverschmutzung beitragen. Wie der obige Graph zeigt, gehören Transport (15,9 %) sowie Fertigung und Bau (12,4 %) zu den drei Sektoren mit dem höchsten Ausstoß von Treibhausgasemissionen. Die beiden Sektoren gehören ebenfalls zu denen, die am meisten von den Ausgangssperren betroffen waren.
Da nicht-systemrelevante Jobs pausiert wurden und Arbeitnehmer so weit wie möglich im Homeoffice arbeiten, ist die Nachfrage nach Transport viel geringer. Allein in Großbritannien ist der Autobahnverkehr um 83 % gesunken (englischer Link), und in Spanien ist der Straßenverkehr auf gut ein Zehntel der Vorjahreswoche zurückgegangen. Sogar in den USA konnte ein beachtlicher Rückgang von Verkehr und Staus in den Ballungsräumen festgestellt werden.
Doch nicht nur auf den Straßen ist der Verkehr stark zurückgegangen. Seit der Popularisierung der Luftfahrt war der Himmel noch nie so leer. Denn aufgrund von Reisewarnungen, -beschränkungen und -verboten ist die Zahl der Passagierflüge drastisch zurückgegangen. Anfang April wurde beispielsweise in Deutschland ein Rückgang des Flugverkehrs um 85 % im Vergleich zum Vorjahr registriert.
Die strikten Bewegungseinschränkungen und Kontaktsperren haben auch dafür gesorgt, dass viele Arbeitsplätze weggefallen sind, die nicht vom sicheren Zuhause aus ausgeübt werden können. Auch die verarbeitende Industrie sorgte ungewollt für bessere Luft: Viele zeitweilige Fabriken wie etwa von Autobauern mussten zeitweise schließen und es wurden somit weniger Schadstoffe ausgestoßen.
Blick über die gegenwärtigen Herausforderungen hinaus
Die Pandemie hat enorme Verwüstungen angerichtet, das ist klar. Nicht nur auf wirtschaftlicher, sondern auch auf sehr persönlicher Ebene. Viele Menschen trauern um ihre Liebsten oder haben ihren Job verloren und sehen einer unbestimmten Zukunft entgegen. Diese Pandemie wird die Welt, wie wir sie kennen, sicherlich verändern.
Ohne die verheerenden Auswirkungen des Virus kleinzureden, ist es doch wichtig, zu erkennen, wie die Schutzmaßnahmen der Regierungen zur Verlangsamung der Pandemie die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, unsere Umwelt, wie wir sie kennen, umzugestalten. Die Coronazeit hat uns bewiesen, dass nur einige wenige Wochen menschlicher Inaktivität unsere Umwelt bereits positiv beeinflussen können; etwas, das in jahrelangen Verhandlungen und nach mehreren Umweltabkommen nicht erreicht worden war. Wird es möglich sein, diese Ergebnisse zu bewahren und ihre Auswirkungen zu verlängern, ohne zu unserem früheren Lebensstil zurückzukehren? Wie können wir diese Situation aufrechterhalten?
Um Antworten auf diese Frage zu erhalten, reicht es, auf die Weltwirtschaftskrise von 2008 zurückzublicken. Wie der obige Graph zeigt, ging der weltweite CO2-Ausstoß nach der Rezession zwar leicht zurück, überschritt aber schnell darauf historische Höchststände. Viele Firmen fuhren ihre Produktion hoch, um Verluste auszugleichen und ihre Unternehmensziele zu erreichen und die CO2-Emissionen erreichten schnell ihr Ausgangsniveau oder stiegen sogar noch weiter an. Der leitende Klimaberater für Greenpeace Ostasien, Li Shuo, bezeichnete diesen Rückfall als „sich rächende Luftverschmutzung“ („revenge pollution“). Dieser Rückschlag war zu beobachten, so Shuo, nachdem die chinesische Regierung ein Konjunkturprogramm auf den Weg brachte, das vor allem große Infrastrukturprojekte förderte, die zu einem sprunghaften Anstieg der Luftverschmutzung führten.
Wie kann bei der Überwindung der Krise Positives entstehen?
Beim Blick in die Zukunft und auf mögliche Wege aus der Krise bieten sich uns zwei große Möglichkeiten. Wir können weitermachen wie bisher und den wirtschaftlichen Fortschritt auf Kosten der Umwelt vorantreiben, oder aber die Chance nutzen, positive Veränderungen für unseren Planeten zu bewirken, die auch für die nächsten Generationen anhalten. Dabei gibt es drei Entwicklungen, die Mut machen.
Grüner Wiederaufbau der Wirtschaft
Nach der Finanzkrise von 2008 nutzten viele Länder die Gelegenheit, nachhaltige Maßnahmen in ihre Konjunkturpakete aufzunehmen. Wie in einem OECD-Bericht (auf englisch) aus dem Jahr 2009 geschildert wird, handelte es sich dabei beispielsweise um Initiativen wie Energieeffizienzprojekte (z.B. Niedrigenergiehäuser), Investitionen in eine grüne Transportinfrastruktur und Steuermaßnahmen, um Anreize zum Kauf grüner Produkte zu bieten. In mehreren EU-Mitgliedstaaten gab es bereits einen Vorstoß für einen ähnlichen „grünen Wiederaufbau“ als Reaktion auf die wirtschaftlichen Auswirkungen des COVID-19-Ausbruchs. So entstand die „Green Recovery Alliance“, die aus 180 führenden Politikern bestand, aus dem Wunsch heraus, sicherzustellen, dass Rettungspakete in die Richtung des europäischen Grünen Deals gehen und zu einer CO2-armen Zukunft beitragen. Aber nicht alle folgen diesem Beispiel, wie die beiden monumentalen US-Konjunkturpakete über insgesamt beinahe 3 Billionen US-Dollar beweisen, von denen ein Teil für die Rettung der Luftfahrtindustrie bestimmt ist, die in hohem Maße zur Luftverschmutzung beiträgt, ohne jegliche Klima-Auflagen zur Bewältigung der Klimakrise.
Das kommt nicht überraschend, sind doch alte Gewohnheiten schwer zu durchbrechen. Und wie Xavier Querol vom Obersten Rat für wissenschaftliche Forschung es so treffend formuliert hat: „Der Kampf gegen Umweltverschmutzung ist ein Marathon, kein Sprint“ (englischer Artikel).
Wir müssen langfristig denken und nachhaltige Konzepte entwickeln, die in verschiedenen demographischen Wirklichkeiten funktionieren. Die Lösung kann natürlich nicht sein, Fabriken und Baustellen geschlossen zu halten und Menschen für immer von zuhause arbeiten zu lassen. Was wir jedoch tun können, ist, innovative Projekte zu fördern, die bei der Produktion ohne CO2 auskommen, energieeffiziente Gebäude zu bauen, dauerhaft zum Arbeiten im Homeoffice überzugehen, wann immer möglich, und saubere Transportmöglichkeiten einzuführen.
Die Elektrifizierung des Transportsystems ist eine der wichtigen Initiativen, die auf der Prioritätenliste für Konjunkturprogramme der Regierungen ganz weit oben stehen sollte. Denn sie bringt zwei wichtige positive Entwicklungen mit sich: Infrastrukturen werden gefördert (ein Schlüsselaspekt zu jedem Wiederaufbauplan) und quasi nebenbei wird der CO2-Ausstoß verringert und somit das Pariser Klimaabkommen eingehalten. Bereits heute existiert eine steigende Nachfrage nach Elektroautos, da diese immer beliebter und erschwinglicher werden und es immer mehr Modelle gibt. Das zeigt, dass viele Menschen zwar nicht bereit sind, das Autofahren ganz aufzugeben, aber sehr wohl dazu, sich nachhaltigeren Autos wie den E-Autos zuzuwenden. Eine Erhöhung der Investitionen in das bereits bestehende E-Auto-Ökosystem durch Fördermittel und Anreize (englischer Artikel) kurbelt daher nicht nur die Wirtschaft an, sondern beschleunigt den Übergang zu einer nachhaltigeren Welt.
Nachhaltiges Handeln zur Gewohnheit werden lassen
Studien (englischer Artikel) zeigen, dass es durchschnittlich zwei Monate dauert, bis sich eine neue Verhaltensweise so festigt, dass sie zu einer Gewohnheit wird. Die Ausgangssperre dauerte in Wuhan und auch in einigen europäischen Ländern fast drei Monate. Viele von uns sind gerade dabei, sich neue Gewohnheiten anzueignen, die unsere Lebensweise auch nach der Pandemie prägen werden. So nutzen viele die Zeit, um eine neue Sprache zu lernen, aufgestaute Energie mit Online-Trainings zu kanalisieren oder um ihr Geschäft zu digitalisieren und innovative Wege zu finden, sich gegenseitig zu unterstützen. Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass gerade in diesen schwierigen Zeiten Unternehmens- und Erfindergeist vorherrschen. Auch unser Verhältnis zu Konsumgütern hat sich verändert: Da viele Lieferketten unterbrochen sind, kaufen wir öfter lokal und verbrauchen dabei weniger Ressourcen. Die Schattenseite der Pandemie ist der drastisch ansteigende Verbrauch von Einwegplastik. Zudem haben viele Recyclingfabriken mit zeitweiligen Schließungen zu kämpfen. Jetzt, wo sich alles verlangsamt, schätzen wir hoffentlich alle mehr unsere Umgebung und Umwelt, und gehen Schritte in die richtige Richtung, um uns besser darum zu kümmern. Ein erster wichtiger Schritt ist, lokale Gemeinschaften wieder mehr wertzuschätzen.
Hoffnung schöpfen aus gegenseitiger Unterstützung
Wir haben bereits gesehen, wie Kreativität und Gemeinschaftsbedürfnis in vielen lokalen Gemeinschaften auf der ganzen Welt zu größerem Zusammenhalt geführt haben und führen (englischer Artikel). Viele Gemeinschaften haben auf den Balkonen zusammen gefeiert oder für Unterhaltung gesorgt und sich gegenseitig unterstützt, und das nicht nur mit Spielen. Lebendige Nachbarschaftshilfe hat sich in vielen Formen gezeigt und Risikogruppen wurden selbstlos unterstützt, ob mit einem Notizzettel im Flur, Excel-Tabellen, über das Onlineportal nebenan.de oder mit der Netzwerk-App Nextdoor. Privatpersonen oder Gruppen sind dabei, Atemschutzmasken für Krankenhauspersonal zu nähen. Andere haben sich online zusammengetan, um schnell eine gemeinnützige COVID-19-App (englischer Link) mit Schwerpunkt auf Datenschutz zu entwickeln, die es Menschen, die positiv getestet wurden, ermöglicht, Menschen, die sie unwissentlich infiziert haben könnten, anonym zu alarmieren. Dies zeigt, dass wir solidarisch sein, Maßnahmen ergreifen und schnell Ergebnisse erzielen können, wenn wir zusammenarbeiten.
Gerade wird Geschichte geschrieben
Das ganze Ausmaß der langfristigen Auswirkungen, die COVID-19 auf die Gesellschaft oder die Umwelt haben wird, ist uns noch nicht bekannt, aber wir haben einen Eindruck davon bekommen, was wir für die Umwelt alles erreichen können, wenn wir bestimmte Gewohnheiten ändern. Die gegenwärtigen Bedingungen hat sich so sicherlich niemand erhofft, aber wir können immerhin aus unseren Erfahrungen Lehren ziehen und sie in die Tat umsetzen, um eine stärkere und nachhaltigere Zukunft für alle aufzubauen.