Mitten in der Corona-Pandemie wurden mehrere Untersuchungen über die Zukunft von Elektrofahrzeugen veröffentlicht. Ihre Analysen kamen jedoch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen: In manchen Berichten wurde prognostiziert, dass 2020 im Vergleich zum Vorjahr 38 % mehr Elektrofahrzeuge gekauft werden, während andere von 43 % weniger Käufen (englische Studie) ausgehen. In diesem Artikel werden wir untersuchen, was es damit auf sich hat und selbst eine Prognose wagen, wie sich die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen in der Zukunft entwickeln wird.
Vor Corona: Nachfrage nach E-Autos stieg stark an
Um eine Idee von der zukünftigen Nachfrage nach Elektrofahrzeugen zu bekommen, ist es unabdingbar, erst zu untersuchen, wie es der E-Auto-Industrie vor dem Ausbruch des Coronavirus ging. In den letzten Jahren wurden Elektroauto immer beliebter. Wie ein McKinsey-Bericht (auf englisch) aufzeigt, haben Early Adopters in den letzten Jahren für ein jährliches Wachstum von 60 % gesorgt. Warum sich diese Menschen früh für den Umstieg auf ein Elektrofahrzeug entschieden haben? Leise Motoren, positive Auswirkungen auf die Umwelt und geringere Treibstoffkosten werden am häufigsten genannt. Dieses Wachstum von 60 % ist an sich schon bemerkenswert, aber noch mehr, wenn man berücksichtigt, dass die Verkaufszahlen der gesamten Autobranche in den letzten zwei Jahren gefallen sind. Ein (auf englisch verfügbarer) BCG-Bericht von Beginn dieses Jahres geht sogar noch weiter. Dort wird die These aufgestellt, dass die Verkaufszahlen von Elektroautos diejenigen der Verbrenner im Jahr 2030 bereits überschritten haben werden. Alles klar, Elektroautos waren bis zum Ausbruch der Pandemie auf dem Vormarsch, aber wie wirkt sich die aktuelle Situation mit den umfassenden Mobilitätseinschränkungen auf der ganzen Welt jetzt auf diesen Trend aus?
Stand Mai 2020: Pandemie hat die Autoindustrie stark getroffen
Die anhaltende Coronavirus-Pandemie hat unsere Welt, wie wir sie kannten, verlangsamt. Die Automobilbranche ist dabei keine Ausnahme. Als Folge aus den Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren kam die Autoproduktion in ganz Europa zum Erliegen. Im ersten Viertel des Jahres wurde weltweit ein dramatischer Rückgang an Auto-Neuzulassungen und -Verkäufen verzeichnet. In manchen europäischen Ländern wie Italien oder Großbritannien sank der Absatz von Personenkraftwagen sogar um 95-97 %. Außerhalb Europas erfuhren auch die USA und China (englische Artikel) einen starken Rückgang des gesamten Autohandels. Da sich die Autoindustrie weltweit in einer Abwärtsspirale befindet, wurde in mehreren Berichten die Frage aufgeworfen, wie sich diese Turbulenzen auf dem Automarkt auf die E-Auto-Sparte auswirken.
Negative Zukunftsperspektive: Manche Beobachter erwarten Rückgang der Verkaufszahlen
Die anhaltende Pandemie hat zu extremen wirtschaftlichen Schwankungen geführt. Die Einnahmen der Unternehmen sind über Nacht stark zurückgegangen, was zu weitreichenden Gehaltskürzungen, Kurzarbeit und Entlassungen geführt hat. Es ist davon auszugehen, dass viele Menschen weniger bereit sind, sich in dermaßen ungewissen Zeiten auf eine neue Technologie einzulassen und Firmen Investitionen verschieben, die nicht unbedingt notwendig sind, bis sich die Situation stabilisiert. Zudem entscheiden sich Verbraucher in der Coronazeit wenn möglich eher für kostengünstigere Alternativen und kehren erstklassigen Konsumgütern eher den Rücken zu. Der starke Rückgang des Ölpreises hat geringere Betriebskosten von Benzinern zur Folge, was ebenfalls dazu beiträgt, dass der Anreiz sinkt, ein Elektroauto zu kaufen, da das Argument der geringeren Betriebskosten von E-Autos abgeschwächt wird. Und schließlich sind die Anschaffungspreise von Elektrofahrzeugen in den letzten Jahren zwar stetig gesunken, werden aber zukünftig möglicherweise nicht so schnell fallen wie vorhergesehen. Denn der Rückgang der Kosten von E-Auto-Batterien wird sich wohl verlangsamen. Doch trotz aller Bedenken im Hinblick auf die Zukunft von Elektrofahrzeugen haben sich dieselben in den letzten Monaten trotz Pandemie als sehr widerstandsfähig erwiesen.
Positive Lesart: Autobranche taucht ab, aber Elektrofahrzeuge halten sich
Daten der italienischen Union ausländischer Autohersteller zeigen, dass Neuzulassungen von Benzin- und Dieselfahrzeugen in Italien im April um 97,5 %, batteriebetriebene Elektrofahrzeuge jedoch nur um 58,1 % zurückgingen. In Deutschland verdeutlichen Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes, dass die Gesamtzahl der Fahrzeugzulassungen im März im Vergleich zum Vorjahr um 38 % fiel, während die der Elektrofahrzeuge sogar um 56 % und die der Hybridfahrzeuge um 208 % anstieg. Die englischsprachige Datenbank EV-Volumes zeigt auf, dass dieser Trend in fast allen Staaten beobachtet werden kann. Als Ergebnis aus dieser Entwicklung hat sich der Anteil von Elektrofahrzeugen an den Neuzulassungen deutlich erhöht.
Zudem scheinen Elektrofahrzeuge inmitten einer im Niedergang begriffenen Autobranche nicht nur krisensicherer zu sein, sondern bereits Zeichen der Besserung zu zeigen. So melden die großen Autohersteller in China nach der Aufhebung der Ausgangssperren für den März bereits dasselbe Verkehrsaufkommen in den Ausstellungsräumen wie im gleichen Monat des Vorjahres. Der chinesische Autohersteller BYD verzeichnete im März sogar einen 337,25%igen Anstieg der Verkaufszahlen (englische Artikel) seiner vollelektrischen und Hybrid-Modellen. Insgesamt wächst das Interesse an nachhaltiger Mobilität und wird teilweise auch durch die beispiellose globale Pandemie erst geweckt.
Impulse in verschiedenen Ländern: Elektrofahrzeuge gehen gestärkt aus der Krise hervor
Da aufgrund der Ausgangssperren Millionen von Menschen eine Zeit lang gezwungen waren, zu Hause zu bleiben, hatte unsere Welt die einzigartige Möglichkeit, einen Blick auf eine grünere Welt zu erhaschen. Als Folge daraus legen Politiker, Unternehmer und Verbraucher bei ihren Entscheidungsfindungsprozessen nun mehr Wert auf die sogenannten ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und nachhaltige Unternehmensführung), wie in einem Artikel des Wall Street Journal dargelegt wird. Dieses Phänomen kann bereits jetzt an konkreten Beispielen auf der ganzen Welt beobachtet werden, und zwar in den drei wichtigen Bereichen Politik, Industrie und Konsum.
Ein Blick über die derzeitigen Herausforderungen hinaus: Was können wir erwarten?
Vorausdenkende Regierungen schließen „Green Deals“ ab
Zum Beispiel bringen Politiker jetzt mehr grüne Gesetze auf den Weg als je zuvor.
Europa – Die EU scheint das für 2020/21 festgelegte Emissionsziel von 95 g CO2/km für Passagier-Neuwagen (auf englisch verfügbare EU-Seite) weiterhin fest im Blick zu haben. Zudem ist die langfristige Strategie, die EU bis 2050 in eine klimaneutrale Gemeinschaft zu verwandeln. So haben Deutschland und Frankreich erst vor wenigen Tagen angekündigt, einen 500 Milliarden Euro schweren, grünen Wiederaufbaufonds zu schaffen, der dazu beitragen soll, die Treibhausgasemissionen in der EU zu reduzieren. In Deutschland wurden von Seiten der Autoindustrie und mancher Politiker Rufe nach einer erneuten Abwrackprämie laut. Es sollen Kaufanreize geschaffen werden, um die Nachfrage nach nachhaltigeren Fahrzeugen anzukurbeln. Zudem hat die Europäische Investitionsbank (EIB) ihre Investitionen in die europäische E-Auto-Batterieindustrie verdoppelt, um den grünen Wiederaufbau zu beschleunigen. So beläuft sich die finanzielle Unterstützung im Jahr 2020 auf mehr als 1 Milliarde Euro (englische Pressemitteilung).
China – Der größte Elektroautomarkt der Welt, China, hat angekündigt, dass Elektroautos in seinen Wiederaufbauplänen eine große Rolle spielen werden (englischer Artikel). So sollen E-Auto-Subventionen und Steuervorteile um zwei Jahre verlängert werden. Das Land hat sich ebenfalls verpflichtet, in Ladeinfrastrukturen zu investieren, um den wirtschaftlichen Abschwung infolge von Covid-19 auszugleichen. Laut dem englischsprachigen Nachrichtenportal CleanTechnica wird China bis Ende des Jahres bis zu 1,5 Milliarden Dollar ausgeben, um 200.000 Ladegeräte für Elektrofahrzeuge zu installieren, 20.000 davon werden öffentliche Ladepunkte sein.
USA – In den USA kam von den Demokraten der Vorschlag eines Green New Deal, eines Konjunktur-Wiederaufbauplans, der vorsieht, dass bis 2030 jeglichen Transport und Strom aus erneuerbaren Energien kommen soll (englische Artikel). Obwohl er von Republikanern heftig kritisiert wurde, hat Joe Biden, der demokratische Präsidentschaftskandidat für das Jahr 2020, der derzeit in den Umfragen zur diesjährigen Wahl vorne liegt, dem Abkommen vage zugestimmt. Während die Zentralregierung die Nachhaltigkeitsziele des Landes nicht als ihre Priorität betrachtet, haben die Bundesländer den Kampf selbst in die Hand genommen. Kalifornien und 14 andere US-Bundesstaaten, die zusammengenommen für mehr als ⅓ des U.S.-amerikanischen Automarkts stehen, verklagen derzeit die Regierung, um ihre eigenen Emissionsziele festlegen zu können. Dies verdeutlicht, dass ein nicht zu vernachlässigender Teil der US-amerikanischen Bevölkerung höhere Nachhaltigkeitsstandards befürwortet, was sich positiv auf die Entwicklung von Elektrofahrzeugen auswirken würde. Da die Wahl im November nur noch wenige Monate entfernt ist, könnte sich in nur wenigen Monaten einer der größten Automärkte der Welt drastisch verändern.
Dies sind nur einige Beispiele für die vielen nachhaltigen Maßnahmen, die momentan von Politikern beschlossen werden, und zusammengenommen das Fundament für einen großen Elektrofahrzeug-Boom nach der Pandemie schaffen werden.
Industrie investiert vor allem in nachhaltige Lösungen
US-Autohersteller haben bereits vor Ausbruch des Virus geäußert, über 2,5 Milliarden Dollar in die Elektrifizierung zukünftiger Modelle zu stecken, und „es wird erwartet, dass im Laufe des Jahres 2020 mehr als 100 neue Elektroautomodelle auf den Markt kommen werden“, so die International Energy Agency (englische Artikel). Jetzt, inmitten der Pandemie, stehen viele nicht nur zu ihren Zusagen, sondern geben Elektrofahrzeugen sogar Priorität über Verbrennern, was Produktion, Verkauf und Investitionen angeht. So fährt Volkswagen seine Produktion wieder hoch und fokussiert sich dabei besonders auf Elektroautos. So wurde der Standort Zwickau, an dem der ID.3 produziert wird, eine Woche früher als andere Produktionsstätten geöffnet. Renault verkauft in China keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr, nur noch Elektrofahrzeuge. Trotz Pandemie wurde in Asien vor kurzem von einer Joint-Venture-Gruppe eine neue Low-Cost-Elektroauto-Marke gegründet. Doch es sind nicht nur Automarken, die auf grüne E-Auto-Technologie setzen. So stellen die beiden größten chinesischen Stromversorger zusammen 3,26 Milliarden Euro zur Verfügung, um über 450.000 Ladepunkte zu errichten. All diese Beispiele zeigen, dass die Branche ihre Investitionen verlagert und den Markt immer mehr in Richtung nachhaltige Lösungen orientiert.
Verbraucher haben immer mehr Interesse an Elektrofahrzeugen
Auch die Verbraucher fordern immer mehr Elektromobilität (Ansatz auf englisch geschildert) und nachhaltigere, effizientere und günstigere Transportmittel, die besser für Gesundheit und Klima sind. Dies mag zum Teil damit zusammenhängen, dass der Himmel über vielen Städten und Dörfern nach ein paar Wochen mit weniger Verbrennern auf den Straßen eindeutig klarer war. Daher entscheiden sich mehr Verbraucher jetzt für ein Elektroauto. Ein (auf englisch verfügbarer) Bericht von Accenture arbeitet heraus, dass sich das Konsumverhalten vieler Menschen aufgrund des COVID-19 bereits jetzt (Stand Mai 2020) verändert hat. Mehr als 50 % der Befragten gehen davon aus, dass sie nach der Pandemie nachhaltigere Entscheidungen treffen werden. Der direkte Zusammenhang zwischen Ausgangssperren und besserer Luftqualität führt zu einem stark erhöhten Umweltbewusstsein bei den Verbrauchern. Das sind gute Nachrichten für die E-Auto-Branche und die Umwelt!
Fazit: Zukunft von Elektrofahrzeugen sieht rosig aus, trotz Corona
Die Verkaufszahlen von Elektrofahrzeugen sehen momentan besser aus als die von Autos mit Verbrennungsmotoren, und das mitten in der Corona-Pandemie. In manchen Märkten, sowie für manche Marken und Modelle sind sie nicht nur weniger stark gefallen, sondern sogar angestiegen. Zudem können wir beobachten, dass Regierungen, Unternehmen und Verbraucher umweltbewusster handeln und nachhaltigere Transportmöglichkeiten als echte Notwendigkeit sehen. In vielerlei Hinsicht hat der COVID-19 vielen Nationen und ihren Regierungen die Augen geöffnet und ihnen die Möglichkeit gegeben, bei ihren Wiederaufbauplänen auch an eine weitere dringliche Notsituation zu denken: die Erderwärmung. Da Elektrofahrzeuge bereits jetzt einen Beitrag dazu leisten können, um den Klimawandel zu verlangsamen, wird ihre Nachfrage zwangsläufig immer weiter steigen. Daher deutet alles darauf hin, dass der Coronavirus den Elektroauto-Boom nicht beenden, sondern langfristig gesehen eher beschleunigen wird.